Chill Out: Warum zu langes Training schlecht für den Muskelaufbau ist

Erst gestern habe ich ein paar klärende Worte zum Thema Trainingskonzeption, namentlich Hochfrequenztraining und Trainingspläne mit abnorm hohen Volumen verloren. (Siehe hier) Das Studio ist für viele von uns ein magischer Ort, doch statt Zauberei und Illusionen dominieren in diesen vier Wänden harte Arbeit und Disziplin. Ein Top-Body wird heute in vielen Kreisen als Statussymbol gehandelt und wer nicht nur schlank und muskulös, sondern obendrein auch stark ist, der gilt als attraktiv und erfolgreich – privat wie beruflich. [1][2] Klar, das Aufbauen eines Körpers mit den Proportionen eines griechischen Gottes erfordert viel Arbeit, viel Schweiß und viel Geduld. Ein kleiner Teil des Kampfes wird im Studio ausgefochten, während die eigentliche Herausforderung genau dann beginnt, wenn wir unseren Kram zusammen packen und sich die Tore des Gyms hinter uns schließen. Noch immer denken viele Leute, dass man für einen trainierten Körper am besten im Fitnessstudio übernachten sollte. Der Mythos, man müsse jede freie Minute am Eisen verbringen, könnte nicht weiter von der Wahrheit entfernt liegen, denn wenn wir uns vor Augen halten, dass ein ambitionierter Athlet im Durchschnitt 4-5 Stunden im Fitnesstempel verbringt und uns gleichzeitig vor Augen halten, dass eine Woche rund 168 Stunden hat (nach Abzug von 8 Stunden Schlaf pro Tag landen wir bei 112), dann beläuft sich die Zeit auf knapp 4 % unseres Wochenbudgets. (Schlaf eingerechnet!) Fakt: Damit der Körper muskulös und stark wird, reichen 3-5 Trainingseinheiten á 1 Stunde im Falle eines naturalen Trainierenden aus. Wer es in dieser Zeit nicht hinbekommt, einen ausreichenden Wachstumsreiz zu setzen und sich auszupowern, der muss die Intensität mit der er trainiert ernsthaft in Frage stellen. Tatsächlich wird sogar angenommen, dass die effektive Trainingszeit irgendwo zwischen 40 – 50 Minuten liegt. Konzentration und Stärke sind bereits nach 30 Minuten im Sinkflug und es gibt Konzepte, die sogar ein striktes Reglement bei der Trainingsdauer pro Einheit vorschreiben (etwa MAX-OT [3]) Nüchtern betrachtet könnten ausschweifende Workouts sogar einen nicht ganz unerheblichen zerstörerischen Effekt auf die Muskulatur entfalten – das Zauberwort heißt in diesem Fall Kortisol.

Stresshormon Kortisol: Eine kurze Einführung

Die Prozesse des menschlichen Körpers sind vielschichtig und komplex – und sie werden von unseren Hormonen gesteuert. Eines der prominenteren Hormone ist das als „Stresshormon“ bekannte Kortisol (Synonym „Hydrocortison“ – ein sog. Glucocorticoid). Wie auch beim Insulin, so gilt Kortisol in den Kreisen vieler „Experten“ als vermeintliches schwarzes Schaf der Hormonfamilie und genießt daher – meiner Meinung nach zu Unrecht – einen schlechten Ruf. Es ist gerade dieses Hormon, welches unseren Vorfahren in grauer Vorzeit gute Dienste geleistet hat, wenn es um das Überleben ging, denn als kataboles Hormon ist Kortisol für die Freisetzung von Energie verantwortlich. Wann immer unser Körper in eine für ihn stressige Situation gerät (etwa, weil er von einem Raubtier angefallen wird oder in einen reißenden Fluss gestürzt ist), wird in der Nebennierenrinde Kortisol ausgeschüttet. Dies aktiviert einen Prozess, den wir als „Fight-or-Flight“-Response bezeichnen und der uns darauf vorbereitet der Gefahr ins Auge zu sehen und zu kämpfen oder uns in Sicherheit zu bringen. (Flucht) Um dieses Ziel zu erreichen, beschleunigt Kortisol den Energiestoffwechsel – mehr Energie, mehr Leistung. Zusammen mit den Katecholaminen Adrenalin und Nordadrenalin sorgt dies für die Aktivierung des sympathischen Nervensystems (über den Hypothalamus im Gehirn). Unsere Herzschlagrate wird erhöht, die Muskulatur wird besser durchblutet, die Pupillen erweitern sich und unsere Konzentration steigt. Das Endziel besteht darin, das Überleben des Organismus zu sichern, indem er für kurze Zeit leistungs- und widerstandsfähiger gemacht wird. (Hierzu gehört auch eine erhöhte Schmerztoleranz) Dieses „natürliche Doping“ hat natürlich auch seinen Preis, denn zum einen wird die freigesetzte Energie unter anderem über den Abbau von Muskelprotein gedeckt und zum anderen äußert sich dies in einer nachfolgenden Müdigkeit und einem gestiegenen Regenerationsbedarf.

Die Akute Kortisolausschüttung: Erwünscht

Wann immer ihr euch unter die Bank legt und anfangt zu pumpen, wird Kortisol in euren Kreislauf abgeben, um die Energieversorgung sicher zu stellen. (Leider muss man eingestehen, dass anderweitiger Alltagsstress heutzutage mehr die Regel, als die Ausnahme ist. Unser Körper funktioniert aber im Wesentlichen noch immer so, wie in der Steinzeit. Wenn euer Boss also ins Büro kommt und euch noch mehr Arbeit aufhalst, obwohl ihr bereits unter Aktenbergen versinkt, dann wird Kortisol ausgeschüttet. Dummerweise stellen Kampf oder Flucht in einer derartigen Situation keine passende Lösung mehr da, um mit dem aufkommenden Stress fertig zu werden – woher konnte Mutter Natur auch ahnen, dass wir irgendwann in Bürokomplexen herumhocken und uns gegenseitig anschreien?). Wie ihr also seht, ist ein akut erhöhter Kortisolspiegel per se nichts Schlechtes, sondern eher der Gegenteil. Der menschliche Körper verfügt sogar über einen entsprechenden  Biorhythmus, wodurch Kortisol am Morgen ausgeschüttet wird und dafür sorgt, dass wir überhaupt erst aufwachen. Die Kortisolausschüttung erhöht nicht nur das Kurzzeitgedächtnis, sondern leistet erhebliche Dienste bei der Entgiftung des Körpers, in dem es die Leber unterstützt. Ferner reguliert es den Blutzuckerspiegel, wirkt entzündungshemmend und immunosuppresiv (d.h. es unterdrückt Prozesse, die mit dem Immunsystem zu tun haben; z.B. bei Autoimmunerkrankungen sehr praktisch). [7] Lange Rede, kurzer Sinn: Wohldosierte Kortisolmengen sind notwendig und vorteilhaft. Durch sie haben wir Biss und Power beim Training, doch wer seinen Körper zu lange einer Stressbelastung aussetzt, der muss mit Nachteilen rechnen.

Lange Trainingsdauer, hoher Kortisolspiegel

Dies führt uns schließlich zur Trainingsdauer: Lange Trainingszeiten lassen euren Kortisolspiegel in die Höhe schießen (während der Testosteronspiegel sinkt) und sorgen schlussendlich für einen erhöhten Proteinabbau. [4[5] Ist ein Wachstumsreiz gesetzt – und das hoffentlich innerhalb von 1 Trainingsstunde – bringt weiteres Training keinen Vorteil. Ihr verbraucht lediglich weitere Energie in vom von Kalorien, die ihr mit einer verlängerten Regeneration erkauft. (Ausdauertraining sorgt ebenfalls für einen kletternden Kortisolspiegel – stundenlanges Cardio kurbelt den Proteinabbau ebenfalls an, wenn ihr einen Kohlenhydratstoffwechsel besitzt und euer Körper seine Energie nicht aus Ketonen bezieht) Viele Athleten halten sich zu Beginn ihres Trainings zurück, weil sie ein so üppiges Trainingsprogramm abspulen, dass sie genau wissen, dass nach einer Stunde die Luft raus ist. Doch genau darauf kommt es an! Vollgas von der ersten Minute an und das ohne Rumgeeiere.

Praktische Tipps für ein stressfreies Leben

Den Alltagsstress komplett eliminieren können wir nicht, doch wir können das Stressaufkommen erheblich minimieren und so den Zeitraum, in denen unser Körper hohe Mengen an Kortisol ausschüttet, limitieren. Wer ein relativ stressfreies Leben hat, der verfügt auch über bessere Karten, wenn es um Muskelaufbau geht – dass man für einen guten Körper stundenlang im Studio schwitzen muss, ist ein Märchen und eine faule Ausrede derjenigen, für die selbst 4 % ihres Zeitbudgets zu schade sind. Ihr Körper wird es ihnen irgendwann danken. Chronisch erhöhte Kortisolspiegel sind pures Gift und häufig Ursache für körperliche Disproportionen (hartnäckige Fettreserven an Bauch & Hüfte, „Skinnyfat“-Syndrom). Daher folgen ein paar praktische Tipps zum Abschluss:
  • -Limitiert eure Trainingseinheiten auf maximal 1 Stunde pro Workout. Wenn ihr länger trainieren wollt, dann kommt an einem anderen Tag wieder. Es ist besser die Zeit zu splitten, als den ganzen Abwasch an einem Nachmittag zu erledigen.
  • - Schränkt das Cardiopensum ein. Hier gilt im Wesentlichen das Gleiche wie beim Eisenstemmen. Exzessives Cardiotraining fordert seinen Tribut von eurem Körper. Schaut euch einmal die Damen in eurem Studio an, die Jahr um Jahr auf dem Crosstrainer verbringen. Trotz des vielen Cardio sehen sie unsportlich aus; die hartnäckigen Fettreserven haben sie indes niemals loswerden können. Wenn ihr Ausdauertraining betreiben wollt, dann am besten kurze und knackige HIIT-Einheiten. Limitiert den Ausdauersport auf 30 Minuten pro Einheit oder weniger.
  • - Achtet auf eure Ernährung. Wenn ihr Kohlenhydrate im Ernährungsplan habt, könnte es sich bezahlt machen mehrere Mahlzeiten am Tag zu essen, da Insulin der natürliche Gegenspieler des Kortisols ist. Das ist auch mitunter der Grund, weshalb Bodybuilder nach dem Training einen Proteinshake mit Maltodextrin oder Dextrose konsumieren: Kortisolkontrolle! Dies ist ein wichtiger Punkt und kann u.a. ein Grund dafür sein, weshalb Muskelaufbau mit Kohlenhydraten besser funktioniert, als mit einer ketogenen Diät. (was nicht unmöglich ist, aber sicherlich um einiges schwerer)
  • - Entspannt euch. Leichter gesagt, als getan, doch wie ich bereits weiter oben dargelegt habe, sorgt jeglicher Stress, den ihr erlebt, für eine Kortisolausschüttung. Daher sollte es das Ziel eines jeden sein, stressige Situationen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Hier haben sich Massagen, Yoga und Meditation als zielführend erwiesen.
  • - Schlaft ausreichend. Wenn ihr hart trainiert, dann solltet ihr ein Auge auf eure Regeneration werfen. Zu wenig Schlaf hat negative Auswirkungen auf das Hormonsystem und stellt eine Stresssituation dar, die für chronisch erhöhte Kortisolspiegel verantwortlich sein kann. 7-8 Stunden sind absolutes Minimum; arbeitet zur Not mit Nickerchen am Nachmittag!
  • - Reduziert den Konsum koffeinhaltiger Getränke und anderer Stimulanzien. Koffein ist ein starkes und allgegenwärtiges Stimulanz und sorgt für eine entsprechende Kortisolreaktion.
Wenn ihr diese Punkte beachtet, dann ist das bereits die halbe Miete in Sachen Kortisolkontrolle.

Quellen

[1] Phys.Org (2007): Lift More Weights, Get More Mates: Resesarch Shows Muscular Men Have More Flings, Partners, Affairs. URL: http://phys.org/news103217413.html. [2] Frederick, DA. / Haselton, MG. (2007): Why Is Muscularity Sexy? Tests of the Fitness Indicator Hypothesis. In: Sage. URL: http://www.sscnet.ucla.edu/comm/haselton/papers/downloads/Frederick_Haselton_2007_Muscularity_sexy.pdf. [4] Tremblay, MS. / Copeland, JL. / Van Helder, W. (2005): Influence of exercise duration on post-exercise steroid hormone responses in trained males. In: European Journal of Applied Physiology. URL:  http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15942766. [5] Mastorakos et al. (2005): Exercise and the Stress System. In: Hormones. URL: http://www.hormones.gr/57/article/article.html. [7] Randall, M. (2010): The Physiology of Stress: Cortisol and the Hypothalamic-Pituitary-Adrenal Axis. In: Dartmouth Undergraduate Journal of Science. URL: http://dujs.dartmouth.edu/fall-2010/the-physiology-of-stress-cortisol-and-the-hypothalamic-pituitary-adrenal-axis.
Tags: Muskelaufbau Cortisol

Kommentare (7)

Pete

November 29, 2013 00:08

Lebst du eigentlich was du schreibst oder ist das Theorie?

g0nZo

November 29, 2013 01:00

Hey Damian, ich denke man kann schon seine 1.5h trainieren ohne Angst haben zu müssen, dass man zuviel Kortisol ausschüttet. Alles was darüber hinausgeht ist aber definitiv zu viel ;).

Peter

December 1, 2013 15:10

Rauch en tütchen nach dem Training, da geht der Stress von alleine :-P

Unbekannt

March 4, 2014 15:35

Mich würde interessieren wie das aussieht, ich trainiere 6x die woche. Drei mal Kraft und drei mal ausdauer ca 1, 5std jedoch passiert es das ich mal aussetz, dann hole ich es nächsten tag es nach dauert dann 3std also soll ich das machen? Was ist wenn ich eine längere Radtour mache das dauert immer bis zu 4 std. usw??

Unbekannt

March 4, 2014 22:28

Kann ich mitTestobuster dem entgegen wirken?

Thorsten

April 8, 2014 17:11

Das Einzige was zählt ist der Wille :) Vorab, hier wird ausdrücklich auf den Konsum von Kaffee hingewiesen, dass dieser schlecht sei, jedoch in älteren Beiträgen wir der als sinnvoll beschrieben wegen seiner angeblichen Wirkung als Fatburner. Also irgend etwas passt da nicht!? @ Matthias: es ist möglich sein gesamtes Workout auf 50 Minuten zu beschränken, natürlich ohne die Ausdauer mit einzubeziehen, die kann m. E. am Nachmittag bzw. am Abend durchgeführt werden. Sollte natürlich zeitlich passen. In meinem Fall bestrebe ich ein Eisenworkout am Morgen vor der Arbeit mit acht verschiedenen Übungen an fünf aufeinanderfolgenden Tagen und zwei darauffolgenden Ruhetagen. Dies tue ich in genau 50 Minuten in einem hohem Level. Mindestens zwei mal die Woche führe ich ein HIIT Training à 30 Minuten am Abend durch. Das reicht um an seine körperlichen (nicht auf Bodybuilderniveau, aber das will ich ja auch nicht) Grenzen zu kommen. Dann noch an die Regeneration denken und alles passt! Ps: ich stehe kurz vor der 40 und fühle mich immer noch sauwohl und des Weiteren findet immer noch ein Kraft- und Muskelwachstum statt!

Mike

April 28, 2015 17:44

Super Artikel, etwas was erfahrene Trainierende sicherlich auch weiterbringen wird!

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